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Kanada 2/3 – Gold Rush

Kanada endet zwei Fahrstunden hinter Whistler.

Von Whistler aus hatten wir uns auf dem Highway 99 durch die Coast Mountains nach Nordosten geschraubt, durch breite, sumpfige Niederungen und über bewaldete Pässe. In Lilloet ist die westliche Gebirgskette durchquert, wir sind in der Steppenlandschaft des Fraser River Valley angekommen. Diese gelblich-staubige Graslandschaft hat so gar nichts mit dem üppigen Regenwald der Küstengebirge gemein, den man beim Stichwort Kanada vor Augen hat. Ihr zugrunde liegen die lockeren Gletschersedimente, in die sich der Fraser und seine Nebenflüsse tief eingegraben haben und dabei beeindruckende Canyons ausformten. Von Lilloet hangeln wir uns auf dem Cariboo-Highway, der alten Handelsstraße aus der Zeit des Goldrauschs, über 100 Mile House und 150 Mile House nach Williams Lake, der Heimat James Doerflings.

On the road

Landschaftswechsel

Die kleine Stadt ist, obwohl in STUND Season 3 – Episode 2  vorgestellt, keines der international bekannten Bikezentren. Natürlich gibt es dort eine Bikeszene und diese ist auch alles andere als untätig. Wobei wir uns ob der Preise für Ersatzteile wundern, wie sich die Bikeszene erhalten kann: bei $92 für einen Satz Saint-Beläge ist Nicht-Bremsen vielleicht eine überlegenswerte Option.
Williams Lake ist für uns in erster Linie Stützpunkt für den fotografisch verlockenden Farwell Canyon. Trail Builder Thomas Schoen – ein dort ansässiger Exil-Allgäuer – hatte Dave von seiner Wahlheimat vorgeschwärmt und nach den Fotos vom Canyon war klar, dass wir vorbeikommen müssen! Schade nur, dass er ausgerechnet jetzt seine alte Heimat besucht.

Unser Motel liegt gleich am Orteingang und weil wir es uns auch hier nicht mit einem Besuch bei McDonalds zu einfach machen wollen, fahren wir am Abend in die Innenstadt. Mit Oliver Street Bar&Grill haben wir uns ein Restaurant für typisch kanadische Kost herausgesucht. Damit waren wir bislang am besten bedient gewesen.

Überhaupt Essen, das ist unser großes Thema. Nach Fehlschlägen bei kleinen Pizzabäckern (North Van) und gruselig schlechten Chinesen (Squamish) haben sich Grillrestaurants als zuverlässig gute Küche erwiesen. Und damit sind nicht die sowieso im Abstieg begriffenen Ronalds und Kings gemeint, sondern regionale Burgerketten oder kleine Diners. In Whistler hatte es uns z.B. Earl’s so angetan, dass wir an gleich drei Abenden dort aßen. Das mag jedoch an den wirklich sehr hübschen Mädels im Service gelegen haben. Es ist sicher keine gute Idee, dort mit der Freundin hinzugehen. Das Essen ist bestimmt aber sehr gut. Grundsätzlich ist das Ablenkungspotential in Restaurants sehr hoch: wenn nicht an der Bedienung dann bleibt das Auge an einem der vielen Fernsehschirme förmlich kleben. Hier und dort laufen gute Sport-Actionfilme, die Konversationskiller schlechthin. Und mindestens einen Großbildschirm hat es ganz bestimmt.

Im Oliver Street Bar&Grill ist Cowgirl-Abend. Es gibt Steak mit french fries und salad zum Preis von $20, gleichzeitig nimmt man an einer Benefiz-Tombola für die lokale Vereinigung der Cowgirls teil. Das Angebot ist auch ohne die Tombola verlockend (die Cowgirls sind es eher nicht). Weil wir das Prozedere beim Erwerb der Lose nicht so recht verstehen, erbarmt sich die Bedienung, dies für uns zu übernehmen. Meinetwegen kann sie einen möglichen Gewinn gerne behalten. Das Steak jedenfalls ist wirklich gut.

Nicht soooo gut war, dass wir die Tür zum Appartement im Motel nicht richtig geschlossen hatten. Beine bekommen hat deshalb nichts, im Gegenteil: es waren einige Beine zuviel in der Bude. Und je genauer wir schauten, desto mehr zuviele Beine wurden es: der Ort heisst Williams Lake und das hätte uns eine Warnung sein sollen. Es hatte was vom Kampf gegen die Hydra: war die erste Stechmücke an der Wand erfolgreich gewildert, tauchten an der Decke zwei weitere auf. Auf deren vorzeitiges Ableben folgten weitere in Bad, wieder an der Decke, noch mehr an der Wand, im Abstellraum, ah, doch noch zwei im Bad, uih, noch mehr an der Decke… Das ging dann etwa eine Stunde so, bis wir dem Artensterben erfolgreich näher gekommen waren. Die Mückenjagd mit Handtuch hinterlässt übrigens Spuren, sichtbare Spuren. Der Zimmerdienst am nächsten Morgen wird begeistert gewesen sein.

Bei der Auswahl der Trails beziehen und verlassen wir uns diesmal auf gedruckte Karten, die wir in einem der beiden Bikeshops im Ort gekauft hatten. Und Trails gibt es hier massenhaft, u. a. von Thomas erbaut. Sogar mit einer Hängebrücke! Schaut mal ins Video zu seinem Trail Snakes and Ladders!

Die lokale Bike Community ist eben doch recht aktiv. Zudem wird sie von den Gemeinden nicht nur wegen des Tourismus’ gefördert,  sondern auch um für die sportliche Bevölkerung attraktiv zu bleiben und wichtige Berufsgruppen anzuziehen und halten zu können.

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Hinab zum Farwell Canyon

Unser Hauptziel ist jedoch, wie erwähnt, der Farwell Canyon und dort der Godsmack Trail, bei dessen Erwähnung im ersten der beiden Shops ziemliche Wortkargheit Einzug hält, auch wenn wir ansonsten wirklich sehr freundlich mit Tipps versorgt werden. Im zweiten ist man deutlich auskunftsfreudiger, es lassen sich sogar verschiedene Anfahrtsoptionen diskutieren. Der Trail ist nicht offiziell im Sinne von angelegt und beschildert. Es ist eigentlich nur ein gelegentlich befahrener Grat, der sich im Moränenschutt herausgebildet hat. Um diesen zu erreichen (und den Einstieg zu finden) pedalieren wir durch hüfthohe, trockene Gräser – und wundern uns über kleine Kakteen, die in den Reifen stecken bleiben. Godsmack ist eine ziemliche Rutschpartie durch losen Sand und Geröll, den türkisfarbenen Chilcotin River tief unter uns vor Augen.
Für eine Aufnahme muss Dave zuerst abfahren um dann den benachbarten Grat wieder bis auf meine Höhe hinaufzuklettern. Die Verständigung funktioniert durch Handzeichen. Wer hätte geglaubt, dass wir dafür einen Dolmetscher brauchen: Daves Gefuchtele mit einer Hand interpretiere ich als, jo, kannst losfahren. Also fahre ich los, eine Steilstufe hinunter und weiter durch feinste Sandablagerungen. Ein Kontrollblick nach oben zu Dave sagt mir: das war jetzt irgendwie falsch. Diesmal wedelt die andere Hand zurück nach oben. Wer einmal versucht hat, eine Düne mit dem Bike auf den Schulter hinaufzulaufen, hat eine ungefähre Vorstellung von den Abläufen der nächsten 20 Minuten. Was Dave mir nach einiger Warterei zu Beginn eigentlich zeigen wollte, war ein Hinweis auf die durch Wolken verdeckte Sonne… Noch nicht fahren!

Nur wenige hundert Meter abseits und in Sichtweite der von schweren Logging-Trucks zu Staub zermahlenen, unbefestigten Farwell Road liegt die größte Sanddüne in British Columbia. Die ewig hin und her wechselnden Winde im Canyon haben ausgewehten Feinsand auf der Talschulter angehäuft, was in der ohnehin wenig typischen kanadischen Landschaft (sofern man sich wie wir nicht vorher vernünftig informiert hat) bizzar wirkt. Packen wir also noch einen Mountainbiker oben drauf und machen ein paar Fotos: “Where the Trail ends”.

Williams Lake bedeutet bereits einen gewaltigen Stich nach Norden von unserer eigentlichen West-Ost-Querung aus. Da fallen die zusätzlichen 200 km bis zur Barkerville Historic Town kaum mehr ins Gewicht. Einen anstehenden Pausentag, für den wir auch das gute Wetter abbestellt haben, nutzen wir für einen Besuch in der alten Goldgräberstadt. Das erste Mal wurde uns Barkerville auf einem riesigen Plakat am Highway 99 etwa bei Pemberton, unweit Whistler angespriesen. In hiesigen Dimensionen betrachtet, käme das einer Hinweistafel auf das Freilichtmuseum Kommern am Ortsausgang von Berchtesgaden gleich. In Kanada ist das nun mal eben so, dass auf den 600 km dazwischen allerdings auch nichts Nennenswertes liegt.
Der Vergleich mit Kommern ist nicht ohne Absicht gewählt, denn auch Barkerville ist ein Freilichtmuseum: von Schauspielern belebt und mit Touristen gefüllt. Die von den Darstellern in ihren Rollen als Stadtgründer, Bergbaudirektor, Lehrerin oder Schmied gehaltenen Vorträge und Demonstrationen sind humorig und interessant. Zwar sind wir am Ende des verhangenen und nieseligen Tages zu Eisblöcken gefroren (es hatte nur ca. 8°C), bereuen den kanadisch-kurzen Abstecher aber keineswegs.

Den Kilometerzähler im Dauerlauf, bewegen wir uns wieder nach Süden, nach Kamloops, Heimat von Matt Hunter und Drehort vieler Bike-Filme. Matt und Specialized hatten noch vor unserem Urlaub angefragt, ob die Verwendung des Namens TrailHunter für eine Video-Serie in Ordnung ginge. Leider ließen anstehende Reisen und Videoprojekte ein Treffen mit ihm nicht zu. Den Namen durften sie natürlich verwenden.

Kamloops breitet sich im Mündungsdreieck von Thompson und North Thompson River aus, die Stadt liegt inmitten gewaltiger, terrassierter Lößablagerungen, die sich gleich hinter den Gärten der Außenbezirken zu steilen Hängen auftürmen. Die nicht-erschlossenen Areale im Stadtgebiet dehnen sich als von sagebrush überwucherten Brachen auf der oberen Terrasse aus. Und weil dort mehr als ausreichend Platz ist, hat die Stadtverwaltung beschlossenen, einen Park anzulegen: einen 26 Hektar großen Bikepark! Die Kamloops Bike Ranch. Als öffentliche Einrichtung steht er jedermann kostenfrei offen. Ein Rettungsdienst hat Station bezogen und patroulliert regelmäßig mit einem ATV das weitläufige und unübersichtliche Gelände. Das Angebot wird genutzt von Müttern mit Söhnen und Töchtern, deren Deal wohl ist: wenn Du die Hausaufgaben gemacht hast, fahr’ ich Dich zur Ranch. Und natürlich rocken die Großen der Szene hier. Dave gelingt es, ein paar Locals wie Stephen Schwartz vor die Linse zu bekommen, was deutlich actionreichere Fotos ergibt als meine geringe Airtime. Respekt! Die Sprünge sind gewaltig.

Als goldrichtig erweist sich der Tipp zum Rio Escondido! Der Start im offenen Gelände ist schon recht flott, bevor es schließlich steil einen Taleinschnitt hinuntergeht und wir schließlich durch einen sich windenden Mini-Canyon schießen. Einfach einmalig!

Die steilen Kliffs, das vom Staub gold-gelbe Licht und der Kontrast durch die unmittelbare Nachbarschaft ausgedörrter Steppe und urbanem Zentrum bilden ansonsten auch eine traumhafte Fotokulisse für unseren Versuch zum Thema Freeride. Weil ich des Kontrasts auf den Fotos wegen keine langen Schienbeinschoner anziehen darf (bei schwarzer Hose mit schwarzen Schonern), zerkratze ich mir die Schienbeine in den hartholzigen Sträuchern bei unzähligen Runs für die Kamera. Gold rush.

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Spiel und Spaß direkt am Ortsrand

Wir haben jedoch nur zwei Tage eingeplant und machen uns schon wieder auf den Weg. Ganz klar, hier müsste man eigentlich mehr Zeit verbringen! Nächstes Mal …
Nur wenig östlich Kamloops führt uns die Transcanadienne aus dem Thompson-Okanagan Plateau zurück in die Berge, die Canadian Rockies. Im einfachen, aber lebens- und liebenswerten Revelstoke beginnt der kommende Teil drei.

2 Gedanken zu “Kanada 2/3 – Gold Rush

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