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Da türmt sich was auf

Wie jedes große Projekt, so fängt auch dieses mit dem Finger auf der Landkarte an. Nur muss ich hier ganz schön weit zurückdenken, bis in den Sommer 2009. Damals war Flo auf einer Solotour auf ein benachbartes Joch. Der Weg zum Joch teilt sich im unteren Bereich den Weg mit unserem Ziel und er konnte von der Wegkreuzung den weiteren Wegverlauf zumindest noch stückweise erahnen. Zu Hause betrieb er noch etwas Recherche und somit war dieses Projekt geboren. Inmitten unserer Heimatberge und zudem noch mit einem markanten und auch bekannten Gipfel hier im Ländle!

Da die Saison 2009 aber schon weit vorangeschritten war und wir in diesem Jahr bei fast jeder Tour in Neuland vorstießen, waren wir dieses Großprojekt nicht ernsthaft angegangen.

Im Sommer 2010 war ich zur Sonnwendtour mit meinem Bruder auch auf besagtem Joch. Während des gesamten Aufstiegs schaute ich immer wieder nach rechts rüber und versuchte Flos Gedanken und Linienführung zu folgen. Aber da war nix, nur eine Felswüste und eine Felswand dahinter ein schon nicht mehr einsehbares Kar. Auf der Abfahrt rasteten wir noch kurz an der Hütte, wo wir auf der Terrasse zwei sportliche Bergsteiger trafen. Sie fragten wo wir herkamen und ob wir oben am Joch waren. Wir erzählten von unserer fast fehlerfreien Befahrung, ebenso von der Essenz unseres Sports und von anderen Gipfel der Gegend, auf den wir schon mit unseren Bikes waren. Dies brachte uns einen gewissen Respekt ein und wir wurden nicht mehr – wie leider viel zu oft – als verrückte Spinner belächelt. So konnte ich auch die Frage nach dem Wegverlauf und der Beschaffenheit des Hausberg der Hütte fragen. Ihre Infos waren leider ernüchternd: “Auch für Euch nur wenig zu fahren. Sehr steil, große Steine, immer Schnee!”
Obwohl diese Infos eher negativ waren, hatte es meine Motivation nicht gemindert. Vielleicht war es sogar ein weiterer Baustein, den es brauchte, um so einen Berg anzugehen. Anschließend machte ich mich selbst an die Recherche. Alle Infos wurden zusammengetragen, alle Höhenlinien analysiert und im Geiste durchgestiegen. Am Ende blieben vier Bereiche, die nicht zweifelsfrei geklärt werden konnten:

  1. Wie gelingt der Wanddurchstieg ins Kar? 30 – 50 hm sind sicher unfahrbar, doch lässt es sich mit Bikes überhaupt durchsteigen? Falls nicht, wäre dies der Abbruch und das Scheitern des Projekts.
  2. Wie fahrbar ist das Kar? Gibt es überhaupt eine Trittspur? Das Kar hat etwa 600 hm.  Wenn wir hier keine Chance auf eine Abfahrt sehen, wäre es ebenfalls der Abbruch des Projekts.
  3. Ans oberen Ende des Kars schließt sich ein kurzer, aber extrem steiler und seilgesicherter Felsaufschwung an. Meine einzige Info: ein großer Hund ist auch schon hoch und wieder runter. Man dürfte also irgendwie mit dem Bike durch kommen.
  4. Über die letzten250 hm ließen sich keine Infos auftreiben. Einzig die Karte sagte uns, dass es in gemäßigter Steilheit bis zum Gipfel geht. Unsere Interpretation: keine Infos -> keine Schwierigkeiten?

Jetzt blieb nur noch die Frage wann es los ginge. Da wir bei unseren Touren auf benachbarte Gipfel immer wieder gut in das komplett nordseitige Kar sehen konnten, war uns bald klar, dass  es vor August keinen Sinn macht.  Bis dahin würde das nordseitige Kar auf seiner ganzen Breite mit Schnee bedeckt bleiben. Außerdem hatten wir uns vorgenommen, den Sonnenaufgang ganz oben zu erleben und die ersten Sonnenstrahlen im Gipfelhang mit der Kamera einzufangen. Kaum ein anderer Gipfel in unserer Gegend bietet sich von seiner Ausrichtung und seiner Höhe über den umliegenden Bergen so für einen Sonnenaufgang an wie dieser. Auch wenn für Flo und mich die Abendsonne deutlich besser in unseren Rhythmus passt.

Nun hieß es einfach warten, dass auch der letzte Schnee in den schattigen Nordseiten bis 3.000 m rauf taut, das Wetter richtig gut gemeldet wird und wir auch Zeit haben. Leider konnten diese drei Kriterien im Sommer 2010 nicht erfüllt werden.

Unser Ziel im Mondlicht

Unser Ziel im Mondlicht

Im Jahr 2011 hatten wir schon zwei mal den Gipfeltag benannt, und die Rucksäcke so gut wie gepackt. Das erste Mal fiel aus, als uns das Wetter einen Strich durch die Rechnung machte, das zweite Mal war es ein wichtiger privater Termin.

2012 rutschte der Gipfel auf unserer ToDo-Liste ganz nach oben. Wie in den Jahren zuvor mussten wir zunächst lange warten. Erst am 5. Oktober gab es eine reale Chance, das Projekt nach unseren Vorstellungen durchzuführen.  Endlich ging es los! Zusammen mit Susi, die uns zu Fuß begleiten wollte.

Beim abendlichen Hüttenzustieg war die größte Herausforderung, möglichst lange ohne Licht zu fahren. Im steileren Waldabschnitt artete das zu einem Geeier aus, schlimmer als volltrunken. Um nicht schon am Wegesrand einer Forstautobahn zu stürzen, erleuchteten wir doch noch die letzten 30 min des Weges.

In der Hütte angekommen, gönnten wir uns erst mal ein Suppe und ein Hefeweizen. In der Stube war es recht gesellig und das Bier schmeckte überaus gut. Aber der für unsere Gewohnheiten doch sehr frühe Tourenstart zwang uns ins Lager. Flo schoss noch ein paar Nachthimmelaufnahmen und Susi und ich ließen die sternenerhellte Nacht, unser bevorstehendes Ziel und die unheimlich imposanten Brunftschreie der Hirsche, die im Minutentakt durch das ganze Tal zu hören waren, auf uns wirken. Das war ein sehr eindrücklicher Moment und mit diesem im Kopf und auch dem Bier konnte ich die verbleibenden fünf Stunden im Lager trotz guter Belegung schlafend verbringen.

Das Aufstehen fiel dann etwas schwer – so wie erwartet. Das kleine Frühstück, das uns die nette Hüttenwirtin am Vorabend noch hinstellte, war mehr Muss als Genuss. Als wir dann draußen waren und die gleiche Stimmung wie am Abend vorfanden, war die Motivation für 1.200 steile Höhenmeter bei Nacht schnell gefunden. Die Brunftlaute waren in dem Latschenhang zu Beginn so nahe, dass ich mir sicher war,  noch einen Hirsch zu sehen. Der Mond stand über uns,  und so war es ein leichtes, den erleuchteten Weg ohne Stirnlampe zu folgen. Erst am Felsdurchstieg zu unserem Ziel schaltete ich die Lampe ein, um schon im Aufstieg besser sehen zu können, was jetzt und in der Abfahrt auf uns zukommt. Zumal der Steig von hier ab nicht mehr markiert ist und wir nur noch die Trittspuren und den sinnvollsten Wegverlauf zur Orientierung hatten. Die ersten Meter waren dann aber anders als erwartet, eher einfach. Ein sehr schön geschwungenes, feinschottriges Band zieht sich angenehm den Hang querend hinauf. Doch nur ein paar Kehren später standen wir mitten im einem Blockfeld und nachdem wir dieses passiert hatten suchten wir mit den Stirnlampen die 40 m hohe Wand vor uns nach einem Durchstieg ab. Dieser glückte sogleich auch ohne größere Schwierigkeiten. Aber abwärts würden hier wohl einige Meter unfahrbar sein.

Jetzt ging es das steile und grobschottrige Felskar gut 600 hm hinauf. Noch immer war es dunkel, doch am östlichen Horizont zeichnete sich langsam ein rot leuchtendes Band ab. Das Zeichen uns ein wenig zu sputen, wollten wir doch den Sonnenaufgang ganz oben, im nach Ost geneigten Gipfelhang erleben. Der befürchtete Altschnee war kein Hindernis, es hatte zwar noch ein paar hartnäckige  Felder, aber die waren gut zu umgehen. Auch die obere Seilpassage stellte sich als kein großes Hindernis heraus.

Der Horizont bekommt Farbe

Der Horizont bekommt Farbe

Endlich am Gipfel angekommen, wurden wir mit einem beeindruckenden 360° Panorama belohnt. Bis zum Bodensee und weit in meine schwäbische Heimat konnten wir sehen. Nun wurde mir die Kälte der Nacht bewusst. Den ganzen Aufstieg über lagen die Temperaturen immer unter dem Gefrierpunkt. Gefroren hatte ich nicht, aber hier oben geht noch ein Wind und ich war froh um jede Schicht Fototrikots, die ich zum Drüberziehen dabei hatte. So eingepackt ließ es sich aushalten. Jeder hatte seine Vesperklassiker dabei und so gab es eine stattliche Auswahl an Waffeln, Landjäger, Gipfeläpfel, Hardkäse, Redbull, Schnupftabak und noch einiges mehr zum Tauschen und Verzehren. Ich genoss und freute mich mehr über diesem Moment als bei fast allen anderen Gipfel. Heute empfand ich den Aufstieg, dessen Ablauf und das Gipfelerlebnis schon als einen Erfolg. Normalerweise dient die Gipfelrast mehr zur Pause und Vorbereitung der Abfahrt. Freude, Erfolg und emotionale Belohnung gibt’s sonst immer erst nach einer geglückten Abfahrt.

Doch irgendwann muss man auch vom schönsten Gipfel aufbrechen, vor allem, wenn man noch 1.200 hm sehr technisches Gelände vor sich hat. Also Knieschoner an, nochmals das Bike gecheckt und dann konnte es direkt vom Gipfel losgehen.

Die ersten Meter des Gipfelaufbaus sind grobes Blockwerk und auf den vielen Stufen hatte sich durch den nächtlichen Frost eine Eisschicht gebildet. Genau das Richtige, um entspannt loszufahren. Ich beäugte zuerst Flo, er hatte auf den ersten 30 hm nicht einmal den Fuß abgesetzt. Wird schon gehen, zwischendrin werden hoffentlich ein paar Zentimeter nicht vereistes Stück kommen, dachte ich mir. Es ging dann auch irgendwie, nur sicher nicht so elegant und fehlerfrei wie bei Flo. Aber er hat ja auch nicht meine “Anfahrproblematik”.

Plattenride im morgendlichen Licht

Plattenride im morgendlichen Licht

So arbeiteten wir uns weiter nach unten. Flo voraus, in spielerischer Leichtigkeit und mit viel Kreativität bei der Linienwahl. Es kamen bald einige Kanten, die es entlangzufahren galt. In Summe doch technischer als gedacht, doch ging es jetzt auch bei mir deutlich besser. Einige Stellen verlangten nach einem zweiten Anlauf, andere nutzen wir für Fotos. Währenddessen war Susi schon fast auf den etwas niedrigeren Nachbargipfel gestiegen. Beim Aufstieg sah dieser viel zu steil und zur Vorderseite hin gefährlich abfallend aus. Als wir Susis Aufstieg verfolgten, entdeckten wir eine mögliche Line und angestachelt durch die Aussicht auf gute Fotos starteten wir einen Versuch. Also, das Bike nochmal auf die Schulter wuchten und bereits im Aufstieg jeden Zentimeter der Abfahrt genau einprägen. Kurz vor dem Gipfel war dann fürs Bike Schluss und ich gab Flo das Startsignal für die Abfahrt. Ich taste mich an die erste Engstelle ran. Es war sausteil und auf der rechten Seite ging es sehr weit runter. Aber ich kam fast in einem Zug durch und war mit der Sequenz mehr als zufrieden!

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Und so arbeiteten wir uns über Platten und tiefe Schotterkehren bis zum seilversicherten Einstieg in die Steilstufe vor. Die ersten Meter waren noch machbar und so rollte ich neben dem lockeren Stahlseil her. Doch als es dann steiler wurde, verließ mich der Mut. Gerade jetzt begegneten wir den ersten Wanderern des Tages. Sie waren super freundlich, schauten uns aber etwas irritiert beim Durchstieg und den ersten Fahrmetern im steilen tief- und grobschottrigen Kar zu. So ähnlich verliefen auch die weiteren Begegnungen mit den wenigen Wanderern die wir an diesem Vormittag noch trafen. Nur ein Grantler wollte nicht glauben, dass wir gerade vom Gipfel kamen und meinte, was für ein Unsinn das sei und dann könnte man ja auch von den benachbarten und noch höheren Gipfel der Gegend abfahren. Als wir ihm dann recht trocken entgegneten, dass wir genau dies schon gemacht hatten, fühlte er sich wohl ein wenig verarscht und ging seines Weges. Bei so vielen extrem positiven Begegnungen und diesem Bergerlebnis konnte mir allerdings sowieso nix mehr den jungen Tag versauen.

Das Kar abzufahren war richtig harte Arbeit. Immer steil, fast immer loser Untergrund. Jede Felsstufe war hier eine willkommene Abwechslung. Doch Vorschicht! Nicht, dass sich darunter ein Karsttrichter versteckt. Die Tiefe einer dieser Höhlen – so imposant, dass ein LKW darin verschwinden könnte – ließ sich auch mit fallenden Steinen nicht ermitteln.

Der letzte Trailabschnitt war dann Spaß pur und wurde für allerlei Fahrtechnikspielereien genutzt. Alle möglichen und auch ein paar unmögliche Linien wurden befahren. Trotzdem hatten wir hier richtig viel Fahrfluss drin.

Auf der inzwischen gut gefüllten Sonnenterasse der Hütte angekommen, wurden wir wieder zu normalen Mountainbiker. Von unserem Ziel und unserem Abenteuer der letzten acht Stunden erkannte hier niemand etwas. Nur unser Grinsen war so übertrieben, dass es eigentlich auffallen musste.

Wir hatten aber auch noch ein paar Trailmeter vor uns! Flüssig, manchmal richtig schnell ging es dahin. Ein paar Kanten wurden als Absprung genutzt und es war genau der gemütliche Abschluss, den so eine technische Abfahrt braucht.

Vielleicht hatte sich das Warten und Verschieben diese Projektes gelohnt. Das Wetter war sicher nicht immer so genial und auch unsere Fahrtechnik und unser alpines Geschick waren im Sommer 2009 sicher noch nicht so gut, dass wir so viel Spaß und Erfolg gehabt hätten, wie es schließlich der Fall war!

3 Gedanken zu “Da türmt sich was auf

  1. Flo und Tobi,

    echt absolut klasse. Hab nicht gedacht das es so toll aussieht. Könnte ich vieleicht bei einer Wiederhohlung dabei sein???

    VG
    Werner

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