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Karwendel

Irgendwo auf der breiten Straße schreit das Navi “Ankunft!”.

Rechts ist eine dunkle Fläche, baumumstanden. Links ist auch nicht viel mehr. Die Adresse macht ein Geheimnis aus sich.  Wir cruisen die Straße etwas weiter hinab, Hausnummern erkennen wir keine. Dafür finden wir einen Döner-Imbiss, der uns recht gelegen kommt. Weil vorhandene Parkflächen für Anwohner reserviert sind und wir uns nicht gleich daneben benehmen wollen, fahren wir das Auto ins nächstbeste Parkhaus. Die knurrenden Mägen legen die Reihenfolge des weiteren Vorgehens fest: erst essen, dann weitersuchen.

Doch, ja, das Navi kennt sich aus. Auch in Innsbruck. Die dunkle Fläche entpuppt sich als Parkplatz, an dessen anderen Ende ein Graffito-verziertes, flaches Gebäude versteckt liegt. Eines von denen, um das man sonst einen großen Bogen machen würde, so unser Eindruck im Dunkeln. Nicht, dass man aus Versehen irgendwelche Waffenschieber stört.

Claude und ich treten ein.

Karges Ambiente im Vorraum, herzlicher Empfang durch die Gastgeber. Willkommen auf dem Biker-Hiker-Festl No. 5 in Innsbruck. Wir schreiben den 18. November 2011, es ist 20 Uhr.

Nach langer Anfahrt und geglückter Unterkunftsuche sind wir nun bei den österreichischen Freunden, die darauf brennen, ihren Jahresabschlussfilm “Evolution” vorzuführen. Erstmal brennt der Begrüßungsschnaps in der Kehle. Der Hauptraum ist, äh… dekoriert mit Bikes, die von der Decke hängen und Werbepostern der Unterstützer. Eingefunden hat sich ein Gutteil der Bikebergsteiger-Szene und wartet, in Fachsimpeleien und Tourplanung vertieft, auf die Filmvorführung. Man trifft sich, man kennt sich.

“Evolution” ist ein gelungener Film und vor allem: sehr, sehr lustig.

Claude und ich sind natürlich nicht nur wegen des Festls angereist; wir wollen die nächsten Tage mit Touren in der Region sinnvoll nutzen. Wie genau sich die Idee zu dem Besuch zur tatsächlichen Reise entwickelt hat, ist in den Wirren der Geschichte verloren gegangen. Jedenfalls ist Birgit Noha nicht unbeteiligt gewesen und das ist kein Vorwurf. Drin stecken irgendwie auch Felix, Werner und Sandra. Claude und ich möchten schon gerne mal mit den Biker-Hikern auf Tour, aber das zu organisieren ist nicht so einfach. Die Tour am folgenden Tag steht schon mal fest und die Mitfahrer haben sich auch gefunden. Tourziel ist ein Karwendelklassiker nahe Garmisch-Partenkirchen.

Gute Nacht, guten Morgen.

Etwas verspätet treffen Claude und ich mit Birgit im Schlepptau beim Treffpunkt ein. Erstaunlich, wie man in einem so kleinen Ort den richtigen Parkplatz nicht finden kann. Aber es geht. Werner, Sandra und Felix sind schon da und startklar. Da müssen sie noch ein bißchen frieren, bis wir dann unser Geraffel auch soweit präpariert haben. In der Talmulde herrschen eisige Temperaturen.

Wir steigen auf, kommen langsam aus dem schattigen Tal in die Sonne. Ein herrlicher Tag. Wäre da nicht das enge Zeitfenster, wir könnten Stunden auf der Sonnenterrasse der Berghütte rumgammeln.

v. l. n. r. Werner, Sandra, Birgit, Claus, Felix und Fotograf Claude

Am frühen Nachmittag sind wir auf dem Gipfel. Werner pressiert es und im Nachhinein sind wir ganz froh darüber. Die Abfahrt ist schon sehr anspruchsvoll und nimmt den verbleibenenden hellen Rest des Tages in Anspruch. Weil mein Stammrevier das Wallis ist, entdecke ich gerade reichlich Neuland – nicht nur geografisch sondern auch bezogen auf den Trailcharakter. Dauersteil, schuttig und übersät mit knackigen Schlüsselstellen in S4-Schwierigkeit. Und ich wunder’ mich schon die ganze Zeit, warum zweieinhalb Stunden für die Abfahrt knapp bemessen sein sollen. Ich leiste Abbitte! Immerhin bleibt Zeit genug, vertrackte Stellen auch mehrfach anzugehen. Ziemlich viel Spaß macht das. Zum Abschluss gönnen wir uns noch die treppenreiche Abfahrt durch eine Klamm, die uns kurz vom Parkplatz wieder ausspuckt.

Ridge Riding | Felix und Werner

Zurück am Parkplatz, der Abend bricht herein. Claude und mir fehlt noch eine Unterkunft und Hunger haben wir alle. In Mittenwald werden wir fündig und schlagen die beiden Fliegen mit einer Klappe. Beim gemeinsamen Abendessen versuchen wir, die Tour für den nächsten Tag zu klären.

Jetzt wird es kompliziert.

Claude und ich würde schon gerne mit den Biker-Hiker fahren, können uns dazu aber schlecht selbst einladen. Direkten Kontakt zu ihnen haben wir nicht und können nur über Umwege von ihnen hören. Aber es will  und will kein grünes Licht für eine gemeinsame Ausfahrt mit allen geben und so ranken wüste Spekulationen über Ursachen und Gründe. Claude und ich entscheiden irgendwann spät in der Nacht, dass das Hin-und-Her hier ein Ende findet und wir mit Birgit unterwegs sein wollen, über die unser Besuch ja maßgeblich initiiert wurde. Dies entschieden dauert es trotzdem noch ein bisschen, bis die Crew für den nächsten Tag steht und ein Tourziel gefunden ist.

Es ist wieder ein frostiger Morgen, als wir uns auf einem Wanderparkplatz vor den Toren von Mittenwald treffen. Mit von der Partie sind Birgit, Werner und Thomas. Thomas, der praktischerweise sein Bike im Glauben an den einbrechenden Winter schon im Oktober verkauft hat, darf/muss mit Birgits  Zweitrad zurecht kommen – und tut dies ausgezeichnet.

Ziel ist ein Nachbargipfel der Vortagstour. Rauf wie runter werden wir den gleichen Weg nehmen und legen so im Aufstieg schon die Linienwahl für die Schlüsselpassagen fest. Stimmt oft eh nicht, aber so hat man eine Diskussiongrundlage für die Zeit des Rauflaufens.

Gipfelankunft. Wir rasten in warmen, fast frühherbstlichen Temperaturen in aller Gemütlichkeit. Die wiederum sehr steile Abfahrt und der mangels Feuchte sehr schuttig-rutschige Untergrund kosten wirklich Kraft. Ganz zu schweigen von den zwei Millionen Spitzkehren.

Bereits kurz unterhalb des Gipfels wartet ein mächtiger Absatz. Auf halber Höhe wird er von einer Luftwurzel quer durchzogen. Die Idee liegt nahe, diese Wurzel als Stufe zu missbrauchen, aber wir trauen ihr nicht. Sie gibt zu viel nach. Thomas sieht eine Linie, auf der man sich durch die Latschenkiefern rechts am Absatz vorbei schieben kann. Die abschließende Stufe ist noch immer hoch und man muss leicht nach links droppen. Es ist aber möglich, die Böschungsflanke als Landung zu nutzen. Nach zwei Anläufen gelingt ihm die Passage. Dadurch wiederum fühle ich mich ermutigt, es auch zu probieren. Beide Male vermassele ich den Abschluss. Anfahrt und Drop gelingen, eine saubere Landung nicht, weil ich das Gleichgewicht nicht über’s Rad kriege. Ich lande kopfüber in den Latschenkiefern.

Halt, Du hast Dein Rad vergessen! | Thomas, Claus & Werner

Weiter unten probieren sich Claude und Thomas  an einer gemeinen Passage, bei der nebeneinander liegende Wurzeln als Rampe benutzt werden müssen. Nur muss man beim Einstieg um einen Stumpf herumhoppeln und hat dafür eigentlich keinen Platz. Nach mehreren Anläufen ist Claude in der Rampe drin,  geht aber unten über den Lenker. Er konstatiert trocken, dass man sich wohl auch überlegen muss, wie man unten rauszufahren hat. Thomas beschließt, schon weiter oben zu springen und damit praktisch über mich hinweg. Er pflügt Kopf voran durch die Latschenkiefern und taucht unten mit einem zünftigen Schmiss wieder aus diesen hervor.

Trail Train | The Gang

Furchtbar viele Spitzkehren und eine zügige und verspielte Abschlusspassage tiefer – die Arme müde, die Konzentration im Feierabend – sind wir wieder zurück am Auto. Ich notiere im Geiste, wie anders als im Wallis die Trails hier sind und frage mich, ob das jetzt an der speziellen Auswahl liegt oder Pfade hier so nun mal so aussehen.

Erneut beschließen wir ein gemeinsames Abendessen und wählen aus praktischen Gründen wieder den Gasthof, in dem Claude und ich Station bezogen haben.

Bleibt noch, eine Tour für den letzten halben Tag zu finden, den Claude und ich eingeplant haben. Birgit wird mit dabei sein, das steht schon fest. Wir legen uns auf eine Shuttle-Tour in der Umgebung von Thelfs fest. Das liegt für Birgit, die in Innsbruck startet, gut erreichbar und für Claude und mich auf dem Rückweg.

Es verspricht, wieder ein traumhaft sonniger Tag zu werden, als wir uns am nächsten Morgen in Thelfs treffen. Wozu Tourplanung, wenn man auch spontan entscheiden kann? Birgit hat über Nacht noch eine Alternative aus dem Gedächtnis gekramt. Ebenfalls eine Shuttle-Tour, aber weniger lang. Die Bikes und uns in meinem Kombi verstaut, fahren wir wir zum Startort der Tour, die uns zunächst als Stich zu einer um diese Zeit nicht mehr bewarteten Hütte führt. Auf der Terrasse nutzen noch andere Gäste die warme Sonne.

Doch, es scheint auch andere Trails als nur die schuttigen Rampen mit ihren verzwackten Stufen und Absätzen zu geben. Heute ist Flow-Tag. Vorbei am abgestellten Auto geht es weiter durch eine Schlucht. Die tiefstehende Sonne und die harten Licht-Schatten-Grenzen laden zum Fotografieren ein.  Nach einem kurzen Gegenanstieg führt uns ein sonnenexponierter, staubtrockener Trail zurück ins Tal. Abgesehen von ein paar Kehren der etwas gemeineren Sorte genießen wir das zügige, flowige Fahren.

Was für ein Abschluss!

Und es gibt doch Flow Trails! | Claus

Nachfolgend eine Auswahl von Claudes Fotoausbeute.
Die restlichen Fotos gibt es auf seiner Website OutForBiking.com zu sehen.

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