Die Anreise
Kurz nach dem Start unseres Fluges nach Adana bricht die aufgehende Sonne durch die Wolkenschichten. Ein traumhafter Anblick, an dem wir uns kaum satt sehen können. Etwas später schläft mein Bikepartner Lev bereits und ich versinke in Gedanken.
Was wird uns beide in der Türkei erwarten? Wird unser Plan funktionieren? Wie reagieren die Leute auf uns? Obwohl wir die Planung ein dreiviertel Jahr im Voraus begannen, wurde kurz vor der Abreise alles immer chaotischer. Plötzlich war fünf Tage vor Abflug unser Mietwagen nicht mehr für die Oneway-Miete von Adana nach Kayseri verfügbar. Es musste also schnell Ersatz her, der nur noch in Form eines äußerst unpraktischen Renault Fluence verfügbar war.
Die Tourenrecherche hatten wir gewissenhaft und so gut es eben ging durchgeführt. Für die Türkei heißt das: in Google Earth Trails an markanten Bergen suchen und gelegentlich verknüpfte Fotos anschauen. In den europäischen Alpen funktioniert dieses System ergänzt durch Wanderkarten sehr gut, doch auch in der Türkei? Brauchbare Karten gibt es nicht und so müssen wir uns einzig und allein auf unsere Google-Earth-Ausdrucke verlassen.
Nach viel zu kurzem Schlaf landen wir kurz vor 10 in Adana. Schnell stellen wir fest, dass der Flughafen nicht für Bikekartons ausgelegt ist und suchen vergebens die Europecar Mietstation, bis uns ein junger Mann anspricht. Er holt auch gleich das Auto und nach etwa einer Stunde sind die Bikes ausgepackt und in Tetrismanier auf dem höchsten Level im Auto verstaut. Schon jetzt verfluchen wir den Wagen.
Es folgt eine Fahrt durch das Verkehrschaos Adanas, als im Radio plötzlich die Nachrichten ertönen, erliegen wir fast einem Lachkrampf. Die Melodie zu Beginn der Nachrichten ist extrem von Star Wars inspiriert und hört auch während der Meldungen nicht auf!
Unseren Zielort Darboğaz suchen wir bald eine halbe Stunde lang, bis wir merkten, dass die Zufahrt über eine unscheinbare Schotterstraße erfolgt. In dem kleinen Bergdorf sind gleich alle Augen auf uns gerichtet. Nach etwas Suchen finden wir eine kleine Pension und sind froh, dass die Besitzerin Deutsch spricht. Lustigerweise wohnte sie einmal im Nachbarort meiner Zivildienststelle! So kommen wir gleich ins Gespräch und werden darauf hingewiesen, dass der Bergsport in den letzten Jahren zurück gegangen sei. Keine gute Nachricht, denn das könnte bedeuten, dass es keine guten Bergpfade mehr gibt.
Tag 1 – Der Mann mit dem Gewehr
Am nächsten Tag steht der Berg Medetsiz mit 3524 m auf dem Programm. Mit unserem Mietwagen können wir noch bis zu einem Nomadenzeltlager auf 2300m fahren. Es dauert nicht lange, bis sich alle Bewohner um uns versammeln und den Bike-Aufbau verfolgen.
Dann geht es auch schon los. Es ist eine Stichtour und so können wir schon im Aufstieg die technischeren Stellen der Abfahrt begutachten. Der Trail macht insgesamt aber einen sehr flowigen Eindruck, bis wir an einen See kommen. Nun bewahrheitet sich, was die Pensionsbesitzerin über den Bergsport erwähnt hatte. Wir müssen den weiteren Verlauf des Trails erst einmal suchen! Gefunden, führt er uns nach langem Aufstieg in ein Hochtal. Karge Felslandschaft macht sich breit, es gibt kaum noch Vegetation.
Plötzlich steht auf einer Klippe weit über uns ein Mann mit Gewehr! Das schockt uns ziemlich, da wir Land und Leute am zweiten Tag noch nicht einschätzen können und nicht wissen, wie wir die Situation einordnen sollen. Wir beschließen, möglichst unverändert weiter zu gehen, allerdings mit ungutem Gefühl. Der Mann verfolgt uns nun auf den Klippen, springt von Fels zu Fels. Dann schreit er etwas und in dem Sattel, auf den wir hoch wollen, taucht eine weitere Gestalt auf. Jetzt wird’s echt unheimlich! Plötzlich ertönen Glöckchen und eine kleine Ziegenherde taucht hinter dem bewaffneten Mann auf. Unser Adrenalinspiegel sinkt wieder etwas. Es sind also Hirten! Die Männer rufen sich noch etwas zu, dann zieht der bewaffnete Mann mit seiner Herde Richtung Sattel und winkt uns kurz zu. Wir setzen unseren Aufstieg fort, können aber mit dem Tempo des Hirten nicht mithalten. Je näher wir dem Sattel kommen, desto steiler und loser wird der Trail. Die Abfahrt verspricht schon mal spannend zu werden!
Auf dem Sattel angekommen, sitzen die beiden Hirten gemütlich im Windschutz eines Felsens und essen. Wir grüßen die beiden und werden sogleich zum Essen eingeladen. Noch etwas unsicher nehmen wir an. Verständigen können wir uns nur mit Händen und Füßen, deshalb haben auch alle viel zu Lachen. Und endlich wird auch das Gewehr geleert und weggepackt.
Die Hirten versuchen uns klar zu machen, dass ein Gewitter aufzieht. Jedenfalls interpretieren wir ihre Handzeichen so und der Himmel sieht tatsächlich nicht freundlich aus. Schließlich verabschieden wir uns und die Hirten ziehen ins Nachbartal weiter. Wir beschließen, die letzten 200 hm zum Gipfel auszulassen und direkt abzufahren.
Es wird gleich richtig steil und wir merken, dass wir den extrem losen Untergrund doch ziemlich unterschätzt haben. Das Vorderrad rutscht hin und her, ein Hinterradumsetzen in den Spitzkehren ist fast unmöglich. Wir kämpfen uns talwärts, doch mit jedem Meter gewöhnen wir uns mehr an den Untergrund. Dann öffnet sich das Tal und ein wegloser Abschnitt liegt vor uns. Jetzt heißt es 200 hm Steinfeld surfen. Das klappt sogar recht gut und macht auch erstaunlich viel Spaß!
Unterhalb zeigt sich der Trail wieder und führt uns flowig über Steinplatten und durch staubige, dürre Graslandschaften. Da heißt es unter allen Umständen auf dem Weg zu bleiben, denn überall wachsen Reifenkiller, mit bis zu vier Zentimeter langen Dornen! Der Weg wird immer flowiger, wir passieren den See und ziehen schöne Staubwolken hinter uns her. Es läuft perfekt, der Trail ein Traum. Die letzten Meter zum Auto werden wieder etwas technischer und fordern uns noch einmal heraus, bevor wir unter Zuschauern wieder unsere Bikes verladen. Die kleinen Jungs der Nomaden sind total begeistert, rufen die ganze Zeit “Büsiklä” (Bicycle) und helfen uns beim Einladen. Da spricht uns ein Türke auf Englisch an und erzählt uns vom Aladağlar-Gebirge unweit von hier. Man könne dort sehr schöne Touren machen und sie haben ein Zeltlager direkt am Fuß der Berge, in dem wir für etwas Geld übernachten könnten. Bingo! Das ist sowieso unser nächstes Tourenziel!
Tag 2 – Die Klamm der Superlative
Am nächsten Morgen brechen wir früh auf, um die 150 km zum Aladağlar-Gebirge zurückzulegen. Die Straße führt uns durch hügeliges, trockenes Land, vorbei an kleinen Dörfern und bewässerten Plantagen. Schon nach wenigen Kilometern wird die Straße eher zum Feldweg und stellenweise zweifeln wir etwas, ob wir mit unserem Mietwagen überhaupt durch kommen. Wir passieren Nomadenzeltlager mit riesigen Schaf- und Ziegenherden und sind kilometerlang im Niemandsland unterwegs.
Interessant sind auch die anderen Verkehrsteilnehmer. Zu fünft ohne Helm auf dem Motorrad scheint kein Problem zu sein. LKWs sind hoffnungslos überladen. Viele Fahrzeuge sehen aus, als könnten und dürften sie eigentlich nicht mehr fahren – trotz des jährlichen TÜVs!
Gegen Mittag kommen wir am Gebirge an, decken uns schnell mit Nahrungsmitteln ein und gehen eine Klamm erkunden. Diese ist etwa 300 m tief, von senkrechten Felswänden eingefasst und als wir unsere Bikes hinein schieben, können wir es kaum glauben, einen fahrbaren Trail zu finden. Die Klamm teilt sich nach wenigen 100 m in zwei Arme auf. Wir wollen den Linken erkunden, da er in Google Earth fahrbarer aussah. Wie es der Zufall so will, kommen uns genau an dieser Kreuzung zwei Franzosen entgegen. Wir hören, wie sie untereinander überlegen, dass der rechte Arm vielleicht fahrbar sei. Das speichern wir natürlich für später ab und erkunden erst einmal den linken Arm. Wir können gute 500 hm in der Klamm aufsteigen, bis sie tatsächlich unfahrbar wird. Das macht aber nichts, denn wir haben ja noch einen Plan!
Zurück am Auto, packen wir Schlafsäcke und Kleidung ein, dann kurbeln wir gemütlich zum Zeltlager des Türken vom Vortag hoch. Die Abendsonne taucht die zerklüfteten Felswände des Gebirges in traumhaftes Licht. Eine geniale Stimmung, die von Minute zu Minute schöner wird!
Beim Zeltlager zeigt sich schnell, dass wir uns wieder mit Händen und Füßen verständigen müssen. Unser Zelt steh schon bereit und trotz Ramadan bekommen wir gleich etwas zu essen. Anscheinend kommen hier schon öfter mal Bergsportler vorbei. Wir genießen den Sonnenuntergang und gehen nochmal unseren Google Earth Ausdruck für die morgige Tour durch.
Tag 3 – Der erste Gipfelsieg
Der nächste Morgen beginnt früh und eiskalt. Kurz nach sieben sitzen wir im Sattel und kurbeln noch ein paar Meter, bevor es ins Tragen übergeht. Wir durchqueren ein Felsentor und befinden uns mit einem Schlag in einer hochgebirgstypischen Steinwüste. Gigantische Mauern und Wände säumen unseren Aufstieg. Der Trail sieht flowig aus, besteht jedoch fast nur aus losem Gestein. Dennoch deutet alles auf eine spaßige Abfahrt hin. Auf unserem Weg nach oben begegnen uns immer wieder kleine Karawanen mit Transportpferden, die wohl auf dem Weg zu einem Zeltlager sein müssen.
Um die Mittagszeit erreichen wir einen Sattel. Von hier aus sieht man zum ersten Mal den Gipfelaufbau des Emler, unserem heutigen Ziel. Und genau jetzt trifft uns fast der Schlag! Der Gipfelaufbau ist extrem steil und besteht aus schrägen Felsplatten. Nie im Leben kann es dort einen fahrbaren Trail geben! Wir sind etwas enttäuscht und machen erst mal Mittagspause. Immerhin haben wir schon 1500 hm von 1800 hm Aufstieg geschafft.
Dann beginnt unser übliches Spiel, wie wir es aus den Alpen kennen. Die Bikes so weit hoch tragen, wie der Trail noch fahrbar erscheint. Sie erst zurücklassen, wenn wirklich nichts mehr geht und den Gipfel wenigstens zu Fuß besuchen.
Wir steigen zunächst durch ein Schotterfeld, das so feinkörnig und locker ist, dass man bei jedem Schritt einen halben wieder zurück rutscht. Dann kommen wir in die steilen Felsplatten. Aus der Nähe zeigt sich jetzt, dass der Trail über einen schmalen Felssims nach oben führt. Sehr ausgesetzt, aber noch fahrbar! Da steigt auch gleich wieder die Motivation. Kurz vor dem Gipfel haben wir nur drei Stellen gesehen, die vielleicht nicht fahrbar sind.
Und dann stehen wir oben! Mit den Bikes! Auf 3723 m! Und wir haben 2200 Höhenmeter verteilt auf 17 Kilometer Abfahrt vor uns! Und das alles mit Hilfe von Google Earth Satelitenbildern! Wir können es kaum glauben, genauso wie die drei Schweizer, die wir auf dem Gipfel treffen. Besonders ihr türkischer Guide ist total begeistert.
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Wir machen zusammen Gipfelpause und tauschen uns über Touren aus. Dann steigt die Gruppe ab. Wir genießen noch die Gipfelaussicht, die wirklich gigantisch ist. Unser Gipfel ragt mehr als 2000 m über das Flachland empor, auf der anderen Seite türmen sich bizarre Gipfel auf, die selbst die Dolomiten alt aussehen lassen. Dazwischen glitzern ein paar blaue Seen, die so genannten Yedi Göller. Etwas Grün an den Ufern lässt sie wie Oasen wirken. Eine unglaubliche schöne, wenngleich auch karge Bergwelt.
Jetzt steht die Abfahrt an und wir sind gespannt darauf, was alles möglich sein wird. Vorsichtig tasten wir uns die ersten Meter herab und merken auch gleich wieder, dass der lose Untergrund extrem rutschig ist. Besonders fies sind die kleinen Steinchen, die zwischen Felsplatte und Reifen geraten. Wir gewöhnen uns aber schnell daran und arbeiten mit einem Fingerspitzengefühl an der Bremse, auf das jeder Chirurg neidisch wäre. Es folgen ein paar steile Stufen und als sich selbst diese gut fahren lassen, sind wir sicher, dass wir den Berg und seinen Trail komplett bezwingen können. Als das Gelände nach den Platten etwas flacher wird, erwartet uns ein Abschnitt durch feinsten Schotter. Das ist ein völlig neues Fahrgefühl, denn man sinkt teilweise bis zu 10 Zentimeter durch, aber dann greifen die Reifen plötzlich. Mit genug Überzeugung kann man sich hier in geniale Kurvendrifts werfen, ohne die Bremse auch nur zu berühren!
Dann wird der Untergrund gröber und das spaßige Driften ist fürs Erste vorbei. In Serpentinen tauchen wir ab in das langgezogene Tal, das den Berg fast zur Hälfte umrundet. Wie ein Schutzwall türmt sich eine 300-400 Meter hohe Felswand um das Tal. Unser Trail führt nun wieder flowig auf einem kleinen Kamm abwärts, bis wir plötzlich in eine kleine Schlucht abtauchen. Hier wird es richtig grob. Fußballgroße Felsen werfen das Rad ordentlich durch die Gegend. Da hilft nur eines: Lenker festhalten und nicht zu langsam werden! Der Trail führt uns jetzt zurück durch das Felsentor. In engen Spitzkehren geht es durch die senkrechten Wände, bis wir unten aus dem Tor gespuckt werden.
Die Felswüste nun hinter uns, schlängelt sich der Trail weiter durch trockene Wiesen und Sträucher. Man kann es wieder laufen lassen! Die Kurven sind nicht zu eng und der Trail nie zu steil. Voll im Flow und fast ohne Bremsen werden die Höhenmeter vernichtet, die wir uns mühsam erkämpft haben. Wir surfen neben einem ausgetrockneten Bachbett entlang. Der Trail hat jetzt auch den ein oder anderen kleinen Kicker zu bieten.
Schließlich kommen wir nach über drei Stunden Abfahrt mit einem breiten Grinsen an der Straße im Tal an. Was für eine geniale Tour! Hinter uns leuchten die Berge wieder im schönsten Abendrot. Fix und fertig, aber glücklich trudeln wir bei der nächsten Pension ein.
Der Besitzer spricht recht gut deutsch und ist begeisterter Bergführer. Es gibt ein verdientes, sehr leckeres Fischgericht und wir haben den ganzen Abend viel zu erzählen. Zu unserer Freude hat der Herr des Hauses sogar ein Bier für uns! Das Erste, das wir in der Türkei zu sehen bekommen.
Tag 4 – Anreise zum nächsten Berg und Lagecheck
Der folgende Tag führt uns zum Vulkan Erciyes, der mit seinen 3917 m das umliegende Flachland um rund 3000 m überragt. Als wir unterwegs über eine kleine Kuppe fahren, erblicken wir ihn zum ersten Mal. Gigantisch zeichnen sich seine Umrisse durch den Dunst. Wir können es kaum erwarten und drücken etwas aufs Gaspedal. Die Straße führt durch eine Ebene, in der ein paar Salzseen liegen. Ein Piste führt über den See und wir können nicht widerstehen, ein paar Drifts mit unserem Mietwagen zu ziehen.
Nachmittags erreichen wir dann das kleine Skigebiet am Erciyes, eine Ansammlung großer Hotelblocks mitten in der Pampa. Wie wir schnell feststellen, ist den Sommer über alles wie ausgestorben, doch die Hotels sind trotzdem geöffnet. So kommt es, dass wir in einem 500-Zimmer-Hotel die einzigen Gäste sind. Ein kurzer Besuch an der Liftstation zeigt, dass die Lifte geöffnet sind und morgens irgendwann zwischen 8:30 und 9 Uhr gestartet werden. Und das Beste, wir können sogar mit den Bikes hoch und sparen dadurch 500 Höhenmeter Aufstieg!
Dummerweise hat sich Lev auf der letzten Tour seinen Schuh aufgerissen und wir sehen hier im Skigebiet die Möglichkeit, vielleicht Ersatz zu finden. Tatsächlich gibt es im Infogebäude, das aber menschenleer zu sein scheint. Lev springt durchs Haus und kommt bald mit einem türkischen Mann zurück, der mich gleich auf Deutsch begrüßt. Es stellt sich heraus, dass er der Chef des Skigebietes ist und ein Sportgeschäft in Kayseri besitzt. Er telefoniert kurz, dann ist abgeklärt, dass der nächste Fahrer, der aus der Stadt zur Baustelle im Skigebiet kommt, ein paar Schuhe mitbringt. Wir werden zum Essen im Skirestaurant eingeladen. Es gibt viel zu erzählen und wir erfahren, dass unser Gastgeber lange Zeit in Lech am Arlberg gewohnt hat und nun am Erciyes ein riesiges Skigebiet aufbaut.
Tag 5 – Vulkangipfelsieg auf über 3900 m!
Als wir dann am nächsten Morgen vorsorglich erst um 9 Uhr zum Lift kommen, ist das Personal erst mal damit beschäftigt, die Keilriemen für den Antrieb aufzulegen. Rund 15 Minuten später sitzen wir im Lift, die Bikes quasi auf dem Schoß. Dann beginnt der Aufstieg. Schon bald erreichen wir einen Grat, über den wir nun mehrere Kilometer zum Gipfel aufsteigen. Es geht steil hoch, zudem stürmt so es heftig, dass es uns öfters fast die Bikes von den Schultern reißt. Das Atmen fällt schwer und wir befürchten einen brutalen Aufstiegskampf, falls es so weiter geht. So kämpfen wir uns dann Meter um Meter nach oben. Auf etwa 3400 m lässt der Wind nach und wir verlassen die atmosphärische Dunstschicht. Ein genialer Anblick, der schon wie die Sicht aus einem Flugzeug wirkt.
Auf knapp über 3700 m erreichen wir die Schlüsselstelle der Tour. Es ist eine große Felswand, mitten auf dem Grat. Wie diese umgangen wird, konnten wir bei der vorhergehenden Recherche nicht herausfinden. Jetzt sehen wir links und rechts Pfadspuren herumführen. Wir entscheiden uns für die rechte Variante, da diese um einiges kürzer erscheint. Hinter der Wand müssen wir ein Couloir zum Grat aufsteigen. Schnell merken wir, dass der ganze Hang extrem locker ist. Man muss sich den nächsten Tritt regelrecht graben und überall bröselt loses Material ins Tal hinunter.
Und dann passiert es plötzlich! Lev hält sich an einem metergroßen Felsblock fest, als dieser ins Rutschen gerät und ins Tal donnert. Zum Glück können wir beide rechtzeitig zur Seite springen! Das Couloir wird steiler und mit der Zeit reicht es fast, die Felsen nur anzuschauen, um sie abwärts poltern zu lassen. Griffe sind absolute Mangelware und vor jedem festen Griff machen wir nun eine Anstuppsprobe. Obwohl wir bereits an den Tourabbruch denken, meint unsere Vernunft: wenn wir jetzt umkehren, werden wir uns im Tal zu Tode ärgern.
Fast schon Zentimeter um Zentimeter kämpfen wir uns den Hang hoch. Zu allem Überfluss ist das Couloir kurz vor dem Ausstieg noch komplett vereist, so dass wir uns mit einem Stein Tritte in das Eis schlagen müssen. Jetzt ist extreme Vorsicht angesagt, weil hier jeder Fehltritt einen Absturz bedeuten kann. Die Bikes auf den Schultern machen sich jetzt als echtes Hindernis bemerkbar.
Nach mehr als einer Stunden Kampf für gerade mal 100 Höhenmeter steigen wir etwas platt oben aus dem Couloir. Eines steht schon mal fest: für den Rückweg wählen wir den anderen Weg um die Felswand.
Bis zum Gipfel ist es jetzt nicht mehr weit und wir stehen bald oben. Unser zweiter Volltreffer, dieses Mal auf über 3900m! Jetzt gibt’s erst mal die wohlverdiente Gipfelpause! Wir sind genau auf Wolkenhöhe, immer wieder ziehen kleine Quellwolken um den Gipfel und sorgen für ständig wechselndes Licht und atemberaubende Ausblicke. Dörfer und Städte im Tal sind kaum noch zu erkennen, die Aussicht reicht hunderte Kilometer weit. Der Blick steht dem Blick aus einem Flugzeug in nichts nach. Lange genießen können wir die Pause jedoch nicht, denn es ist bereits 16 Uhr.
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Die ersten Trailmeter sind extrem steil und wie immer lose, so dass das Bike immer wieder ordentlich übers Vorderrad schiebt. Bald erreichen wir wieder die Felswand und steigen dieses Mal auf der anderen Seite herum. Viel besser ist dieser Weg nicht, biken kann man vergessen, und bei jedem Tritt bewegen sich einige der großen Felsplatten im Umkreis von zwei Metern. Dennoch sparen wir auf diesem Weg viel Zeit und sitzen schon bald wieder auf dem Bike.
Ein paar Spitzkehren in rotem Lavasand, dann wird es flowiger. Neben uns ragen bizarre Felsformationen im Abendlicht in die Höhe. Langsam legt sich der riesige Schattenkegel des Berges über das umliegende Flachland. Die Abfahrt will einfach kein Ende nehmen. Kilometer um Kilometer surfen wir auf dem Grat dem Tal entgegen. Auf halber Höhe setzt plötzlich der starke Wind wieder ein und es wird richtig kalt. Dafür ziehen wir bei der Abfahrt nun 20 Meter lange Staubfahnen hinter uns her. Der Grat wird etwas flacher und man kann es mal so richtig laufen lassen. Tief unter uns wird die Stadt Kayseri gerade von den letzten Sonnenstrahlen beleuchtet. Für uns kommt jetzt der letzte, sehr steile Abschnitt des Grates. Wir zirkeln durch viele Spitzkehren, die es wirklich in sich haben. Das Versetzen des Hinterrades wird durch den Sturm extrem erschwert, aber es macht richtig Laune, gegen den Wind anzukämpfen!
Inzwischen dämmert es und wir surfen die letzten flowigen Trailmeter ins Skigebiet, wo dann leider nur noch eine Forstpiste auf uns wartet. Als wir am Hotel ankommen, ist es fast dunkel. Gerade noch erwischen wir den Koch und bekommen in der Küche ein geniales Essen aufgetischt. Der Koch spricht ein paar Worte deutsch und kann kaum glauben, dass wir mit den Bikes auf dem Erciyes waren. Schnell ist das Hotelpersonal versammelt und lässt sich die Geschichte übersetzen.
Tag 6 bis 9 – Ab in den Osten
Heute steht eine lange Autofahrt an. Unser nächstes Tourenprojekt liegt rund 550 Kilometer weiter östlich. Über recht einsame Autobahnen mit großen Schlaglöchern, die zwischendurch auch mal zu einfachen Schotterpisten werden, fahren wir durch eine karge, dennoch schöne Landschaft. Unterwegs kommen wir an einem See vorbei, malerisch zwischen ein paar Hügeln gelegen. Eine stramme Brise lässt ihn fast wie ein Meer aussehen.
Am späten Nachmittag erreichen wir die Stadt Erzincan. Wir beschließen die übrige Zeit bis zur Nacht noch zu nutzen und schon mal den Traileinstieg für den nächsten Morgen zu suchen. Der Einstieg liegt im Dorf Kılıçkaya. Das ist aber nirgends ausgeschildert und die Straßen stimmen nicht so ganz mit unseren Ausdrucken überein. Also versuchen wir irgendwie nachzufragen. Gleich sind fast 10 Personen um uns versammelt, alle reden wild durcheinander und wir verstehen kein Wort. Scheinbar sind wir aber im Nachbardorf, was ja nicht ganz verkehrt ist. Ein Mann telefoniert, ein anderer Herr kommt mit einem LKW voller Melonen vorbei, bleibt stehen, steigt ins Gespräch der anderen ein und schenkt uns eine Melone. Der Herr am Handy ist nun fertig, es wird kurz etwas besprochen und plötzlich weisen alle in eine Richtung und geben uns Zeichen, dass wir dort weiter fahren sollen.
Keine zwei Kilometer weiter kommen wir an den nächsten Ortseingang. Dort steht ein älterer Herr, der uns gleich zuwinkt und uns Zeichen gibt, dass wir ihm folgen sollen. Wir parken in einem Garten. Dort sitzen bereits einige Leute und winken uns her. Wir werden zum Tee eingeladen und obwohl niemand etwas versteht, gibt es viel zu lachen. Ein netter junger Herr schickt seine Frau ins Haus. Kurz darauf kommt sie mit einem Buch zurück. Er blättert etwas, dann fragt er: “Hallo, wie geht?” Das Buch muss wohl etwas wie Die wichtigsten Sätze auf Deutsch sein. Wir haben noch mehr zu lachen, können so tatsächlich den Ansatz einer Konversation führen und packen sogar unsere drei Wörter türkisch aus, die wir in den letzten Tagen gelernt haben. Nach einigen Minuten wird ein Opa herbeigeholt, der recht gut Deutsch spricht. Nun stellt sich heraus, dass wir gerade beim Bürgermeister im Garten sitzen und wir können ansatzweise nach dem Trail fragen. Leider scheint das Hörgerät des Opas defekt zu sein, denn er versteht uns kaum. Wir können nicht vermitteln, dass wir Trails suchen und werden immer wieder darauf hingewiesen, dass es eine neu angelegte, noch nicht fertige Forstpiste gibt. Trotzdem haben wir eine sehr nette Zeit und können uns leider nur mit einer Melone bedanken.
Durch den Mangel an Information kommt es, dass wir am nächsten Morgen entgegen der Google-Earth-Ausdrucke dort nach dem Trail suchen, wo man uns gestern die Forstpiste beschrieben hat. Auf den Wiesen treffen wir einen alten Herrn, der uns etwas erklären möchte, immer wieder in die Berge deutet und uns wohl erklären will, dass um 16 Uhr etwas sein wird. Leider werden wir erst am Nachmittag wissen, was er gemeint hat. Nach erfolgloser Trailsuche folgen wir unseren Ausdrucken und haben den Trail auf der anderen Seite des Ortes nach wenigen Minuten gefunden. Wir treffen zwei Frauen, die eine spricht etwas Deutsch und so bekommen wir eine Bestätigung, dass wir auf dem richtigen Weg sind und nehmen die 1950 Höhenmeter Aufstieg in Angriff.
Der Trail schlängelt sich durch ein ewig langes Tal nach oben. Gesäumt wird er auf der linken Seite von mächtigen Felswänden, gegenüber gibt es steile Graßhänge. Auf unterschiedlichen Höhen haben Hirten und Nomaden ihre Zeltlager und Herden. Schiebend, tragend und kurbelnd gewinnen wir Höhenmeter um Höhenmeter, in der Ferne sehen wir ein paar Zelte, die genau auf unserem Weg liegen. Wir sehen auch, dass man bereits Ausschau nach uns hält. An den Zelten angekommen, werden wir sehr freundlich in Empfang genommen und man bietet uns Essen und Trinken an. Wir tauschen ein paar unserer Riegel gegen etwas Wasser und brechen bald wieder auf, um unser Ziel, den Akbaba (3457 m) zu erreichen. Oberhalb des Zeltlagers wird der Trail jedoch immer undefinierter, bis er in einem Schotterhang etwa 400 Höhenmeter unter dem Gipfel komplett verschwindet. Die Bikes bleiben nun erst mal liegen. Wir steigen etwa 100 Meter auf einen Sattel auf, um die Lage besser einschätzen zu können. Leider sieht es da oben noch schlechter aus, denn hinter dem Sattel türmt sich ein ordentliches Gewitter auf. Unabhängig von dem Gewitter ist auch weiterhin kein Trail vorhanden. Wir beschließen, die Tour abzubrechen.
Bis zum Zeltlager ist der Trail etwas holperig. Am Lager sagen wir kurz güle güle (Auf Wiedersehen), dann surfen wir den Trail talwärts. Die netten Leute aus dem Lager sichern sich umgehend die Logenplätze und beobachten unser Treiben. Der Trail ist schön flowig, hat lange, weite Kurven, kleine Jumps und Drops. Der Flowfaktor ist unglaublich hoch und das Grinsen will nicht mehr aus unseren Gesichtern weichen. Plötzlich kommt uns jemand auf einem Pferd entgegen. Es ist der Herr von heute Morgen. Jetzt wird uns klar, dass er wohl der Herr des Hauses im Zeltlager ist. Um 16 Uhr wollte er wohl hoch kommen und uns dann als seine Gäste willkommen heißen. Leider hat das nun nicht geklappt. Wir rollen weiter, nun über offene Wiesen zum Dorf zurück, immer mit einer kleinen Staubfahne am Hinterrrad. Das Gewitter ist zwischenzeitlich bedrohlich nachgerückt.
Kaum kommen wir im Dorf an, werden wir von drei netten Mädels begrüßt. Sie fragen uns, ob wir die Jungs sind, die mit den Bikes in den Bergen waren. Wir bestätigen, machen uns bekannt und werden zum Essen eingeladen. Es hat sich wohl im Dorf herumgesprochen, dass ein paar verrückte Deutsche zum Biken in die Berge sind. So kommt es, dass wir bei sehr leckerem Essen im Garten der Oma der Mädels sitzen. Sie wohnen in Deutschland und sind gerade im Heimaturlaub die Oma besuchen. Wir haben viel Spaß und können nette Gespräche führen, bis das Gewitter schließlich losbricht. Lev und ich machen uns auf den Weg zum Hotel in Erzincan. Die Mädels geben uns noch den Tipp, an einem Wasserfall vorbei zu fahren. Gesagt, getan, und es hat sich gelohnt!
Tags darauf fahren wir ein gutes Stück weiter gen Osten. Unterwegs verfolgt uns ein heftiges Gewitter, es fliegen immer wieder Büsche über die Straße. An der ersten Ampel in einer Stadt holt uns der Regen ein, dann fahren wir wieder ins Trockene. Die nächste Ampel lässt unser Auto wieder nass werden. Dieses Spiel zieht sich durch den ganzen Ort. Leider müssen wir das Tourenprojekt im Osten aus diversen, ernstzunehmenden Gründen streichen. Zu allem Überfluss haben wir dort wohl schlechtes Essen erwischt, was sich einen Tag später auf der Rückreise nach Kappadokien bemerkbar macht. Ein Tag mit Magenproblemen im Auto, dafür jedoch diesmal mit Baden in dem schönen See und mit Vorfreude auf eine unglaublich bizarre Landschaft, voll mit Naturachterbahnen, bekannt aus dem Bikevideo Kranked 3!
Tag 10 bis 12 – Die weltbesten Naturachterbahnen?
Vor uns ragen bizarre Gebilde aus Sandstein und Lava wie Burgen und Türme in den Himmel. Sie lassen nur erahnen, welch geheimnisvolle Landschaft dahinter wartet. Doch das kümmert uns gerade wenig. Lev und ich sind startklar und rollen in die erste Steilkurve. Es geht ordentlich bergab, so haben wir nach wenigen Metern auch ordentlichen Anpressdruck. Wir schießen aus der Kurve, der Streckenverlauf wird übersichtlicher und vor uns eröffnet sich eine wahre Bobbahn, von der jeder Rodler nur träumen kann. Und all dies shaped by Mother Nature!
Die Finger bleiben von den Bremsen, der Speed nimmt weiter zu und schon in der zweiten Steilkurve ist das Grinsen ins Gesicht gebrannt. Im Sekundentakt wechseln wir von Kurve zu Kurve. Jetzt kommt ein richtig enges Ding! In der Wand hängend, den Federweg fast gänzlich ausgenutzt, schießen wir um einen großen Turm herum. Dann eröffnet sich ein flacher Wiesenhang, dessen langes, dürres Gras golden in der Abendsonne leuchtet. Der Speed nimmt ab und wir stoppen erst mal, weil wir kaum fassen können, wo wir gerade durchgefahren sind.
Das waren sie, die besten 200 m Trail, die wir jemals unter die Stollen nehmen durften. Und es war auch der Trail, den Wade Simmons, Brett Tippie und Ritchey Schley im Bikevideo Kranked 3 mit Helmkamera abgefahren sind. Fast mitten in der Türkei, Kappadokien nennt sich die Gegend, die aus trockenen Sedimenten der umliegenden Vulkane besteht und im Sommer oft vergebens auf Regen wartet. Speziell dieser Teil der Türkei aus Kranked 3 brannte sich vor Jahren in unsere Köpfe. Der Traum diese Trails zu surfen war groß genug, um ihn jetzt Realität werden zu lassen!
Wir fahren weiter der untergehenden Sonne entgegen. Der Grashang läuft spitz zu, abrupt weicht das Gras den nächsten Türmen und wir tauchen ein in Naturachterbahn Nummer 2, die uns auch gleich wieder von Wand zu Wand wirft. Plötzlich weicht die linke Wand und wir schießen in eine Rechtskurve, die zu unserem Pech auch noch nach links außen hängt. Und da passiert es auch schon. Gripverlust, das Hinterrad bricht aus und geht über die Kante, ich rutsche kurz über den rauen Boden. Lev schafft es gerade noch, sich zu fangen und sicher zum Stehen zu kommen. Und wieder haben wir eine Stelle aus Kranked 3 erkannt! Genau hier hat es gegen Ende des Videos die beiden Rider erwischt, wie uns jetzt. Der einzige Unterschied: der Helmkamerafahrer, der hinten fuhr, ist seinem gestürzten Vordermann voll rein gerauscht.
Nix passiert, weiter geht’s. Der Trail wird steil und verwinkelt. Dafür taucht vor uns plötzlich der erste Tunnel auf. Er ist in den Stein gemeißelt, genau wie die Häuser und Kirchen, die man an den zahlreichen Fenstern im Fels erkennt. Es wird eng und dunkel, eine Lenkerbreite über 72 cm könnte hier fatale Auswirkungen haben! Der Tunnel spuckt uns in einen engen Kanal, der beinahe einem Eiskanal gleicht. Wir bauen schnell wieder Geschwindigkeit auf und schießen in den letzten, meterhohen Wallride, bevor wir im Tal in einem sandigen, ausgetrockneten Bachbett ankommen. Was für ein Trail! Und das gleich in der ersten Abfahrt. Kann es überhaupt noch besser werden?
Während wir den Trail hochschieben, setzt die Dämmerung ein. Zurück am kleinen Mietwagen, werden die Bikes wieder in Tetrismanier verstaut. Wir brechen nach Çavuşin auf, wo wir nach kurzer Suche eine kleine, gemütliche Pension finden. Im offenen Innenhof unter einem Laubdach aus Weinreben genießen wir ein leckeres Abendessen. Nebenbei werden die schlechten Karten der Touristeninfo studiert und mit Fotos abgeglichen. Unser Wirt versorgt uns auch noch mit ein paar Infos. Wir haben viel zu lachen und erleben einen sehr gemütlichen Abend mit viel Çay, dem türkischen Tee.
Am nächsten Morgen wollen wir mit der Abfahrt des Vortages starten und anschließend die umliegenden Pfade erkunden. Unser Plan wird jedoch von den vielen Touristen, welche die Wege bevölkern, durchkreuzt. Wir beschließen, auf einen Berg im hinteren Teil des Geländes zu steigen. Schnell zeigt sich, dass es hier praktisch menschenleer ist. Es zeigt sich auch, dass die Trails hier extrem steil und verwinkelt sind. Die Schluchten werden tiefer und unberechenbarer. Bevor wir uns jedoch diesen Herausforderungen stellen, genießen wir die Aussicht über ganz Kappadokien.
Der Trail führt flowig am Hang entlang. Abrupt jedoch tauchen wir in einen steilen Hang ein, der aus losem Sand besteht. Über beide Räder rutschend kommen wir gerade so durch. Wir passieren die ersten Türme und rollen in eine kleine, ausgewaschene Schlucht. Sie wird auch gleich so schmal, dass wir wieder froh sind, dem “Breitlenkertrend” nicht aufgesprungen zu sein. Plötzlich das erste 90°-Eck vor uns. Schön rund geschliffen, wie alles hier, aber extrem eng. Geschmeidig winden wir uns hindurch. Es folgt nun Kurve auf Kurve in diesem Stil, der Trail wird dabei immer steiler. Dann plötzlich für 30 Meter keine Kurven mehr, dafür wird es so steil, dass selbst der Einsatz der vollen Bremskraft erfolglos bleibt. Und unten wartet das nächste 90°-Eck auf uns! Ob das gut geht?! Ein sekundenschneller, prüfender Blick bestätigt, was wir eigentlich schon seit der Einfahrt in die Schlucht wissen: es ist nicht mal Platz zum Absteigen da! Egal, sowieso zu spät, wir sind schon fast unten. Jetzt hilft nur noch Lenker festhalten und um jeden Preis verhindern, dass er wegknickt. Und da ertönt es auch schon, das schabende Geräusch, als der Lenker an der rauen Wand entlang schleift. Wir können uns aber auf den Bikes halten und es drängt sich der Gedanke auf, ob es in diesem engen Kanal überhaupt möglich ist, zu stürzen.
Mit einem Mal wird der Kanal breiter. Wir können die Wände wieder besser für schöne Kurvenlagen nutzen. Plötzlich endet die Schlucht in einer trockenen Wiese und direkt vor uns befindet sich eine ca. ein Meter tiefe und breite Erosionsrinne. Mit einem Bunnyhop in letzter Sekunde verhindern wir die Bodenprobe und rollen gemütlich aus. Wirklich tückisch, dieser Trail!
Im Talbereich finden wir unter der heißen Mittagssonne einen Schattenplatz zwischen ein paar Weinreben und Büschen. Eine türkische Frau betreibt einen kleinen Handel auf ihrer Kutsche und bietet uns zu trinken an. Wir nehmen dankend an und chillen noch etwas auf dem kühlen Sand im Schatten, bevor die Bikes wieder rufen.
Weiter geht’s durchs Gelände, Trail um Trail wird abgesurft. Beim Hochschieben und -fahren kann man den nächsten Trail gleich unter die Lupe nehmen, so dass uns gefährliche Überraschungen wie zu Tagesanfang erspart bleiben.
So nähern wir uns schließlich dem letzten Ride des Tages, für den es uns wieder in flacheres und flowigeres Gelände verschlagen hat. Die Abendsonne taucht alles in goldenes Licht, die Schatten werden lang und die trockene Wiese, durch die wir gerade surfen, glüht regelrecht. Der Staub, den wir aufwirbeln, verstärkt die Wirkung noch. Ein wunderschönes Bild! Und wir mitten drin, der untergehenden Sonne entgegensurfend. Flowig geht es über kleine Wellen und Hügel, durch langgezogene Kurven, bis wir fast sekundengenau zur untergehenden Sonne in unserem Dorf ankommen.
Nach kurzem Frühstück steht für heute das sogenannte Love Valley in Richtung Uçhisar auf dem Plan. Als wir die ersten Meter des Tals hochkurbeln, wird uns auch klar, woher dieser Name stammt. Riesige Felstürme stehen hier frei in der Landschaft. Alle haben sie eine Art Dach, das wohl aus festerem Gestein besteht. Jedenfalls kommt man mit dieser Vorlage nicht um den Gedanken herum, dem Tal den Namen Dildotal zu geben.
Am oberen Ausstieg des Tals steht mitten in der Pampa ein junger Mann, der den Touristen Coctails verkauft. Wir machen kurz Pause und beobachten das lustige Schauspiel, wie die Touristen – meist mit Sandalen und Stöckelschuhen unterwegs – mit dem steilen, losen und staubigen Taleinstieg zu kämpfen haben.
Jetzt sind wir an der Reihe. Nach dem steilen Einstieg in das weitläufige Tal mit seinen senkrechten Seitenwänden führt der Trail flowig durch Wiesen und über Gesteinsformationen. Überall warten Wellen und Kuppen nur darauf, gesprungen zu werden. Einige der Touristen feuern uns dabei sogar an. Die großen Felsdildos fliegen an uns vorbei und leider ist diese Achterbahnfahrt viel zu schnell vorbei, obwohl es der bisher längste Trail war.
Wir radeln wieder in die Nähe unseres Wohnortes, um von dort noch ein paar Trails zu fahren. Unter den hellbraun leuchtenden Wänden eines größeren Massivs finden wir den Traileinstieg. Auch hier geht es flowig zur Sache. Der Trail verläuft dieses Mal aber nicht in einer der vielen Schluchten, sondern auf den Kämmen der interessanten Bergformationen. In den Tälern neben uns sind vor den in Stein gemeißelten Räumen kleine Gärten angelegt, in denen Trauben wachsen. Wir surfen über große Wellen und durch flowige Kurven, bis der Trail plötzlich in eine Schlucht führt. Der Beginn der absoluten Naturachterbahn. Halb Trail, halb Bach ist diese Schlucht senkrecht in den Fels gewaschen, an manchen Stellen sogar als natürlicher Tunnel. Alles wie immer perfekt rund geschliffen. Eine steile S-Kombination ist das Highlight und so genial, dass wir mehrere Male wieder hochschieben, um uns mit jedem Mal noch höher in die Wände zu schießen.
Ein perfekter Trail zum Abschluss! Er spuckt uns wieder vor den Toren von Çavuşin aus, wo wir bei gutem türkischem Essen den Sommerabend genießen.
Tag 13 bis 15 – Zurück in den Schluchten
Nachdem wir vormittags noch ein paar Trails in Kappadokien gesurft sind, fahren wir wieder zurück zum etwa 200 km entfernten Aladağlar-Gebirge. Da unser Projekt im Osten nicht geklappt hat, ist nun etwas Zeit für den zweiten Arm der riesigen Schlucht übrig. Für den Nachmittag nehmen wir uns noch ein kurze Tour im südlichen Teil des Gebirges vor. Die Anreise zum Startpunkt verlangt unserem Mietauto alles ab. Der Staub des schlechten Feldweges dringt durch jede noch so kleine Ritze ins Wageninnere.
Mit den Bikes auf den Schultern marschieren wir los in eine wunderschöne Berglandschaft. Kleine Baumgruppen stehen über Hügel verteilt, dahinter ragen mächtige Wände empor. Eine wunderschöne Gegend. Noch immer etwas von den Magenproblemen geplagt, gehen wir es gemütlich an und setzen uns die Deadline für die Abfahrt etwa 45 Minuten vor Sonnenuntergang. Gut 600 Höhenmeter Abfahrt haben wir vor uns, als es soweit ist. Der obere Teil ist sehr technisch mit vielen hohen Stufen und wir werden gleich richtig gefordert. Etwas später wird es flowig und auf idealem Rollgefälle und schlängeln wir uns durch die Baumgruppen talwärts. Die tiefe Sonne zaubert tolle Lichtstimmungen an die großen Wände. Mit einem breiten Grinsen erreichen wir wieder das Tal. Wenig später, etwas außerhalb der Berge schenkt uns die Abendsonne das schönste Alpenglühen das wir je gesehen haben! Ein atemberaubender Anblick.
Die Nacht verbringen wir in einer Art Jugendherberge, die gerade als Trainingslager für türkische Ringer dient. Zunächst werden wir etwas skeptisch angeschaut, doch irgendwann will fast jeder mal auf unseren Bikes sitzen.
Tags darauf starten wir früh, diese Mal in den rechten Arm der Klamm. Kurz vor dem Beginn der Schlucht läuft uns plötzlich ein Straßenhund hinterher, der partout nicht mehr von unserer Seite weichen will. Anspruchsvoll geht es die Klamm aufwärts, die Abfahrt wird eine ziemliche Herausforderung werden. Der Hund schafft es irgendwie, uns beiden immer gleichzeitig vor den Füßen herumzuspringen und geht uns ziemlich auf die Nerven. Im Aufstieg kommt nun eine Kletterstelle, etwa 3,5 m hoch und fast senkrecht, so dass wir die Bikes einzeln herauf reichen müssen. Die Stelle kann nicht umgangen werden und wir sind uns ziemlich sicher den Hund jetzt los zu sein. Kaum fünf Schritte weiter, jault es hinter uns und die Schnauze des Hundes schiebt sich über die Kante. Unglaublich, wie konnte der Hund da hoch kommen? Wir beschließen, ihn auf Grund seiner Leistung als vollwertiges Teammitglied aufzunehmen und geben ihm den Namen Streety der Straßenhund.
Die Klamm wird immer enger, die Wände sind nun absolut senkrecht. Über unseren Köpfen hören wir die Rufe vieler Tauben, die in kleinen Nischen in den Wänden nisten. Mit einem Mal öffnen sich die Wände und wir stehen inmitten einer trockenen Hochgebirgslandschaft. Der Trail wird auf einen Schlag flowig. Langsam trotten wir aufwärts, die Sonne brennt ordentlich und es fehlt uns wegen der Magenprobleme noch immer an Kraft. Bis auf den Gipfel der heutigen Tour sind es über 2000 hm und etwa 18 km Strecke. Nach etwa 1350 hm müssen wir ziemlich entkräftet aufgeben und gönnen uns ein kurzes Nickerchen. Streety legt sich wie ein Wachhund auf einen etwas höheren Felsen.
Die Abfahrt verläuft zunächst flowig, allerdings müssen wir sauber die Spur halten, denn neben dem Trail wachsen viele Büsche mit extrem harten und langen Dornen. Streety hat etwas Mühe dranzubleiben, bis wir zum Eingang der Schlucht kommen. Da geht es auch sofort mit einem richtigen Balanceakt zur Sache. Über einen kleinen Felsgrat muss man an einer engen Wand vorbei und unter einem Vorsprung durch, anschließend sofort eine steile Platte runter und unten 90° rechts. Eine geniale Kombi, die einige Versuche kostet, bis sie klappt. Eine Techniknummer reiht sich nun an die Nächste und wir werden richtig gefordert. Der staubige Belag auf den Steinen verleiht den hohen Stufen zusätzliche Schwierigkeit. Zwischendurch legen wir immer wieder kurze Pause ein, um die Klamm zu bestaunen. Stunden später spuckt uns die Schlucht schließlich aus. Streety, der die ganze Zeit nicht von unserer Seite gewichen ist, zieht nun seines Weges. Ein würdige Abschlusstour, auch wenn wir sie leider nicht komplett durchführen konnten.
Den nächsten Morgen gehen wir gemütlich an, fahren noch an einem See vorbei, ehe wir am Flugplatz in Kayseri unseren Mietwagen abgeben und unsere Bikes mit unendlich viel Klebeband wieder in den Bikekartons verstauen. Schließlich sitzen wir gemütlich in der Wartehalle und blicken zurück auf zwei Wochen vollgepackt mit den besten Bikeerlebnissen. Ganz besonders aber blicken wir auf viele nette Begegnungen mit tollen Menschen zurück, die unsere kleine Abenteuerreise sehr bereichert haben und unvergesslich machen!
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Habedere Buaba
Wahnsinnig lässige Pics. Das macht echt Lust auf mehr. Bin ein wenig neidisch… Freit mich für euch, dass ihr so ein spitzen Trip machen konntet.
Bis bald in Xiberg ;-)
cheers Chris
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Sehr cool!
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