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Kanada 3/3 – Revelstoked

Memo an uns selbst: Schilder mit der Aufschrift TRAIL in vier Metern Höhe bezeichnen keineswegs Trails für Mountainbiker.

Willkommen in Revelstoke. Die kleine, gepflegte Stadt am Westrand der Canadian Rockies ist ein Mekka für Wintersportler, die das Abenteuer abseits präparierter Pisten suchen. Die Stadt verdoppelt im Winter glatt ihre Einwohnerzahl, weil Powder-süchtige Freerider und Snowmobile-Fahrer hier in Heerscharen einfallen – und bleiben. Die vier Meter hohen TRAIL-Schilder sind nämlich Hinweise zu Snowmobile-Routen durch die Wälder. Im Frühjahr ebbt der Trubel wieder ab, doch manche – wie Henning – bleiben. Revelstoke ist nämlich ein fantastischer Ort, wenn man sowohl Skifahrer als auch Mountainbiker ist. In den Schaufenstern kleben amtliche Plakate mit der Aufforderung, kein Fallobst in den Gärten liegen zu lassen, weil das die Bären anlockt und sich dann die einkaufende Bevölkerung in den Läden verschanzen muss, bis der Bär die Straße wieder für die Allgemeinheit freigibt.

Revelstoke

Revelstoke

Unsere erste Tour führt uns am Nachmittag über eine quälend steile, grob schuttige logging road zum Start des Frisby Ridge Trails. Dabei werden wir von unzähligen Shuttles überholt. Es ist in Kanada nicht wirklich üblich, so wie wir zu den Ausgangspunkten hochzuradeln. Man packt die Bikes auf den Pickup und fährt hoch. Zum Shutteln müssten wir jedoch die Abfahrten alleine absolvieren (doof!) und den Van auf Strecken prüfen, die üblicher- und sinnigerweise von F150s, RAMs oder Subarus befahren werden. Hochtreten kostet viel Zeit und wenn man dann – wie wir – auf der Suche nach dem Einstieg in der Gegend umherirrt, bleibt vom Biketag nur *tag übrig. Es ist nämlich beeindruckend wenig hilfreich, ein Schild “to trail-head” an einer T-Kreuzung so aufzustellen, dass es jeden Abzweig bedeuten könnte. Das muss man auch erstmal hinbekommen. Wir entscheiden uns für die rechte und damit falsche Variante, die deshalb so verlockend erscheint, weil kurze Zeit später die ersten gelben “TRAIL”-Schilder auftauchen. Nur eben verdächtig hoch angebracht. Der Einstieg zum Trail liegt nur etwa 100 m links des Wegweisers. Seufz.

Frisby Ridge ist ein Trail der Kategorie multiple use, dual direction, er wird bergauf und bergab gefahren, gelaufen und geritten. Besonders schnell ist er mangels Gefälle auch nicht und gleichzeitig in großen Teilen unrhythmisch. Dafür führt er aber ins weitläufige Hinterland, wo er mit einer eleganten Schleife den Stichtour-Charakter etwas kaschiert. Aus Fotografensicht schade ist der zur Unzeit wolkenbedeckte Himmel, welcher den schönen Blick nach Westen noch mehr abschattet.

Frisby Ridge

Blick von Frisby Ridge auf Revelstoke und den ca. 230 km langen Arrow Lake

An den bis auf den unteren Teil eher langweiligen Frisby Ridge schließen wir dessen Verlängerung Ultimate Frisbee an, der sich als robuster Downhill erweist und endlich Flow und Action bringt. Steil und ruppig schüttelt Ultimate uns ordentlich durch – was sogar Daves vom schweren Kamerarucksack verspannten Rücken wieder lockert – und spuckt uns im Tal am Abholplatz der Shuttles wieder aus. Dort warten viele ebenfalls ordentlich weichgeklopfte Biker auf die nächste Runde und …

Komisch.

Das Logo auf dem weißen Bike dahinten, das kommt mir bekannt vor. Wieso steht hier ein Bike der kleinen Dortmunder Bikeschmiede LAST? Ich spreche den Fahrer an und es ist Henning, ein Deutscher aus Witten und somit dem Umfeld von LAST und obendrein Kumpel von Bikefreunden von Dave und mir aus eben dieser Ecke. Henning hat sich in diesem Dorado niedergelassen und einen Arbeitsplatz als Architekt in der holzverarbeitenden Industrie am Ort gefunden. Weil er zur Teilnahme an der B.C. Enduro Series überredet worden war und der nächste Lauf gleich am Folgetag hier vor Ort ausgetragen wird, reicht es nicht für eine gemeinsame Runde. Stattdessen verhilft uns ein eingeschobener Ruhetag dem Rennen als Zuschauer beizuwohnen.

B.C. Enduro Series

B.C. Enduro Series, Revelstoke

Und nun einmal ganz was Neues: Bikebergsteigen in B.C. Mount Cartier ist ein klassisches Heli-Biking-Ziel. Einen Helikopter als Shuttle zu nehmen ist allerdings auch hier in Kanada nicht eben günstig und nur zu zweit … und die Ökologie … eben. Wir machen das also auf die bewährte Art und Weise und stapfen die 2.200 Höhenmeter das Bike schiebend und tragend hoch. Interessanterweise ist dieser Trail auch der einzige, der nicht zu Freizeitzwecken angelegt wurde; es ist der Zustieg zu einer alten Feuerwarte am Gipfel des knapp 2.500 m hohen Berges. Dem Pfad entlang verläuft ein altes, teilweise überwuchertes Telegrafiekabel und wir passieren kurz vor Erreichen der Baumgrenze eine cabin, in der die Wachen früher übernachteten. Ist der Weg innerhalb der Waldzone noch sehr effizient zum Höhe-gewinnen angelegt, so schlingert er oberhalb der Baumgrenze lustlos in endlos langgezogenen Kehren ohne nennenswerten Höhengewinn an der Bergflanke entlang. Das ist auch bei der Abfahrt keine Freude, denn was ihm an Gefälle fehlt macht er durch eng stehende Erlen, zwischen denen der Lenker kaum durch passt, nicht wett.  Trotzdem ist die Tour schon wegen der Gipfelaussicht lohnend und es gibt erstmalig für uns auch in Kanada Gelegenheit zu Aufnahmen mit Bikebergsteiger-Motiven. Für dejenigen, die das bis hierher vermisst haben: bitteschön!

Mount Cartier

Auftakt zu über 2.000 Hm Abfahrt vom Mount Cartier

Die untere Passage durch den kanadischen Urwald, also unterhalb der cabin, ist ein grandioser Trail zum “durchbomben”, wie Dave es genannt hat. Zwischen Baumstümpfen und umgestützten,verrotteten und von Moosen überwachsenen Bäumen windet sich ein auf natürliche Weise entstandener Pumptrack, der schlussendlich, nach Durchquerung eines Taleinschnitts, in einen schnellen Flowtrail übergeht. Hurra!

Wandering Wheels verlangt 100 $ für den Martha Creek Shuttle Drop Off, die Fahrt zum Einstieg des Martha Creek DH. Darin inbegriffen sind maximal fünf Fahrer und Bikes. Wir verhandeln via Mail mit Matt Yaki, dem Inhaber sowie einem weiteren Interessenten, weil unser Maximum bei 50 $ liegt. Wir machen fifty-fifty und lassen uns am nächsten Tag die endlose Auffahrt über die erstaunlich gut präparierte Dirtroad hinaufschaukeln. Unser Mitbieter ist ein Mittfünfziger aus der Region Lake Tahoe, der in Revelstoke sein Feriendomizil herrichtet und wenigstens einmal den berühmten Martha Creek DH gemacht haben will. Sein schlabbernder trail dog ist sicher nicht gefragt worden, der muss einfach mit.

Vor dem Einstieg lässt Dave sich noch von beeindruckend großen Pferdebremsen ärgern, während er versucht, ein paar schöne Aufnahmen im hochalpinen Gelände hinzubekommen. Der Beginn des Trails durch dieses erweist sich als ziemlich verblockt und hakelig; erst in der Baumzone wird der Downhill tatsächlich zu einem Bergab-Ritt. Und was für einem! Sumpfige Areale hat die örtliche Feuerwehr mit Holzbrücken passierbar gemacht und dabei Anleihen am old school-Stil genommen und Spielereien wie  Rampen, Skinnies und (auf Sicht fahrbare) Drops eingebaut. Rinnen, Steinfelder, Wurzelpassagen und schuttige Abschnitte waren schon da. Ein kompletter Trail.

Martha Creek

Einstieg in Martha Creek

Den Mitfahrer, der vor uns in den Trail gestartet war, überholen wir kurz vor Ende des Trails. Am Parkplatz, wo Matt uns zuvor aufgesammelt hatte, wartet: Henning. Unabsprochen hatten er uns seine Freunde die Shuttle-Tour vor uns gebucht und standen noch auf dem Parkplatz, weil sie sich um einen jungen Rennradfahrer kümmerten, der den Anschluss an seine Familie verloren hatte.

Mit Henning verabreden wir uns für den Abend ins Village Idiot, ein gemütliches Szene-Restaurant mit Terrasse, in dem wir zuvor schon einmal waren und wo uns nicht nur das Essen zugesagt hatte: in den omnipräsenten Fernsehern laufen dort nämlich Sportfilme, aktuell “Where the Trail ends”. Das ist bezeichnend, den üblicherweise zeigen Restaurants auf den Fernsehern Football-, Baseball- oder Eishockeyspiele. Wir geben zu: das gemütliche Revelstoke hat es uns angetan.

Den letzten Biketag dieses Urlaubs verbringen wir auf den McPherson-Trails, über die zwei Tage zuvor die B.C. Enduro Series getobt war. Die Räder in den Taschen verstaut verabschieden wir uns tags darauf von Revelstoke und den noch immer herumschwirrenden Mücken, die es merkwürdigerweise aber immer nur auf Dave abgesehen und ihm ordentlich zugesetzt hatten. Hätte er nicht regelmäßig nach Pockeninfektion ausgesehen, wäre mir nicht klar gewesen, dass es in Kanada überhaupt Stechmücken gibt.

On the road again

On the road again

Was es hingegen tatsächlich nicht gibt – Ihr müsst jetzt stark sein – sind: Bären. Elche auch nicht. Keine Pumas, keine Cariboos.  Unser spektakulärste Begegnung mit der hiesigen Fauna war ein Adler. Immerhin. Wir haben es geschafft, in den ganzen bisherigen knapp vier Wochen nichts und niemanden zu begegnen, auf dessen Speisekarte wir gestanden hätten oder was eine Jagd hätte sinnvoll erscheinen lassen. Wie ausgestorben. Selbst im Yoho-Nationalpark ist nichts gefährliches als Pilze zu sehen, wie wir auf einer Wanderung um den Emerald Lake konstatieren müssen. Selbst die dort gefundene Burgess-Shale Fauna verbessert unsere wildlife-Sichtungen nicht wesentlich, sie ist nämlich seit einiger Zeit tot und überdies für den normalen Besucher nicht zugänglich. Unsere Wanderung verläuft etwa 100m unterhalb des berühmten Aufschlusses am Burgess-Pass.

Glasklar - der Emerald Lake

Das glasklare Wasser des Emerald Lakes

Banff Nationalpark, unser letzter Tag. Seit langem wieder etwas Regen, Moraine Lake gibt sich wolkenverhangen. Eine Schild weißt darauf hin, dass bestimmte Wanderziele aktuell nur in einer mindestens vierköpfigen Gruppe erwandert werden können und deren Mitglieder immer (immer!) dicht zusammen bleiben müssen: es wurde ein Grizzly gesichtet. Ha!

Auf Lake Louise werfen wir nur einen kurzen Blick. Es regnet und Wolken verdecken den vergletscherten Talabschluss. Auch haben wir der Eindrücke genug aufgenommen, scheint uns. Die Weiterfahrt nach Calgary gestalten wir in einem letzten Versuch, doch noch Großwild zu begegnen, gemütlich über den alten Highway, von dem Henning berichtete, die Bären tummelten sich gleich neben der Straße.

Sie tummeln nicht.

Ein letzter Besuch bei Red Robin, eine letzte Übernachtung im Motel, die letzen Kilometer im Dodge. Wir geben das Auto ab, welches über die Zeit doch recht staubig daherkommt. Die Schnellannahme bei Hertz am Flughafen besteht im Grunde nur aus der Entgegennahme des Schlüssels, dann wird unser treuer Van weggefahren und wir machen uns auf den Weg zur Gepäckaufgabe. Nach verbummelten Stunden bestehen unsere Bike-Taschen den manuell durchgeführten Drogen- und Sprengstoff-Verstecktest (“I have to check all that by myself, they have dismantled the scanners we once used for that”) und irgendwann sitzen wir in der 767-300 des Condor Flugdienstes, auf dem Weg zurück nach Frankfurt.

So revelstoked!

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